Mnemosyne*―
das laute Zwitschern
einer Datenwolke.
*griechisch Μνημοσύνη; von μνήμη mnēmē, „Gedächtnis“
Beate Conrad
das laute Zwitschern
einer Datenwolke.
*griechisch Μνημοσύνη; von μνήμη mnēmē, „Gedächtnis“
Beate Conrad
Hyazinthenblau
nicht mehr und
nicht weniger
Eva Limbach
An meinen Händen der Saft
einer Orange
(mit) unter
bewußt (los)
sein
(s)low emotion
of
(t)error
Hans-Jürgen Göhrung
der grüne Fluss
wir nehmen Abschied
vom ausgetretenen Pfad
Meteoritenglut
der Einbruch
der Lautlosigkeit
mit Silberstift gezogen
die Zeichen
in ihrem Gesicht
vom ausgetretenen Pfad
Meteoritenglut
der Einbruch
der Lautlosigkeit
mit Silberstift gezogen
die Zeichen
in ihrem Gesicht
Helga Stania
Inflatonfeld
mein gestohlenes
Leben
Zitroneneis
eine sich ausdehnende Kugel mit mir als Mittelpunkt
Gabi Hartmann
Fibonaccis Tempel
zwischen warmen
Ziegelsteinen
ein Hauch ∞
Die Blaue Wüste
in meinen Träumen pflanze
ich dort
Ölbäume
443 Hz
die Magie der
Zeitlichkeit
im einfallenden
Licht Ramona Linke
schwarze Stunden
ich buchstabiere Worte
aus Licht
Angelika Holweger
Von Wirklichkeit und Wirkung
Dietmar Tauchner, einer der beiden Editoren dieses Blogs, hat gerade die Arbeiten an seinem fünften Buch fertig gestellt. Sein Titel "invisible tracks/unsichtbare spuren". In diesem Werk findet sich eine Ein- oder Hinleitung von Dietrich Krusche, dem Nestor der deutschsprachigen Haiku-Szene. Beide führten auf dem Weg zu dieser 13-seitigen Analyse der Tauchnerschen Texte einen Dialog, den Volker Friebel in der aktuellen Ausgabe von Haiku heute dokumentiert hat.
Folgende Thesen -- Tauchner recte, Krusche kursiv -- habe ich aus diesem Mailwechsel gezogen. Sie sind für mich wichtige Hinweise, dass das Haiku eben nicht heute am Scheideweg steht, sondern schon immer auf Scheidewegen gegangen ist und dies auch weiter tun wird:
- Was das Haiku betrifft, ist es mir wichtig festzuhalten, dass es kein „orthodoxes Haiku“ gibt, wie von manchen vermeintlichen Gralshütern propangiert, sondern allein ein vitales Genre, das vor allem durch seine epochale Ästhetik, die Poetik von Individuen und deren Schulen geprägt worden ist und wird und offen für neue Themen und Formen und Reformen ist. Das Haiku ist kein hermetisch abgeriegeltes shintoistisches Naturgedicht, sondern ein kurzes Gedicht, das die Welt immer wieder mit neuen Augen betrachtet und dabei moderne, natur- und geisteswissenschaftliche Perspektiven nicht außer acht lässt.
Als
ich meine Haiku-Übersetzungen machte, war mir klar, dass das Haiku
außerhalb Japans nicht dasselbe sein kann wie innerhalb seiner
Ursprungskultur. Dort
spielt es, zusammen mit den anderen Zen-Künsten wie Bogenschießen,
Stockfechten, Ikebana usf. eine – wenn auch sich abschwächende – Rolle
im Alltag. Aus dieser Tradition, die auf das 17. Jahrhundert zurückgeht,
ergeben sich seine „japanischen Regeln“. Aber wir haben keine
Silbenschrift, das Silbenzählen macht bei uns keinen Sinn, und das in
Japan geforderte „Jahreszeitenwort“ wirkt nicht in vergleichbarer Weise –
uns fehlt die entsprechende ‚Jahreszeitenkultur’.
Ich stimme Ihnen also völlig zu, dass es keinen „Gral“ gibt, den es zu bewahren gilt.
- Tatsächlich
verstehe ich das Haiku als „universales“ Format, zumal das Haiku
spätestens mit Bashôs Shômon-Schule so „offen“ war, dass neue Ansätze
fast schon programmatisch wurden.
- Einerlei,
ob man das traditionelle oder das moderne Haiku hernimmt, sie
unterteilen sich in viele unterschiedliche Strömungen und Poetiken,
weshalb ich glaube, dass seit einiger Zeit von einer dritten großen
Strömung gesprochen werden kann, nämlich dem „internationalen“ oder
„globalen“ Haiku. Kulturspezifische und globale Themen bilden Hand in
Hand eine neue Facette dessen, was Haiku ist oder sein kann. Das Haiku
ist nicht nur Bild der Tatsachen (was es genau genommen nie war), es ist
auch zu einem Bild des Möglichen und der Vorstellung geworden. Was Haiku
ist, mag mit Bashô mehr dazu geworden sein, was Haiku sein kann.
- Warum ich ganz persönlich am Begriff Haiku festhalte: Weil ich die Faszination in den eigenen Texten verankern möchte, die ich empfand, als ich die ersten klassischen Haiku – übrigens in Ihrer Übersetzung! – las. Andeutung, Offenheit, Geheimnis, Wahrnehmung der Welt, wie sie sich darstellt, Elemente einer elementaren Dichtung, die somit eine grundlegende ist, ja sogar eine Art „Untergrunddichtung“, weil sie dem Elementaren Raum gibt und damit auf den Grund geht und Wurzeln freilegt.
Wir
sind uns einig, dass es um keinen „Gral“ des wahren Haiku geht, den es
zu bewahren gilt. Das „japanische“ Haiku, so wie es entstanden ist und
sich binnen-japanisch entwickelt hat, gibt es nur dort.
Für
einen deutschen/europäischen/‚abendländischen’ Autor von Haiku – in
seinem Verhältnis zu seinem ‚globalen’ Publikum – gibt es eine solche
Selbstverständlichkeit nicht. Man kann so tun, als ob. Manche Autoren
deutschsprachiger Haiku haben versucht, dieses Defizit dadurch zu
kompensieren, dass sie sich auf ein „allgemeinmenschliches“ Naturgefühl
zurückfallen ließen. Jeder fallende Tautropfen, jeder auffliegende
Schmetterling, jede sich öffnende Blüte reichte aus, das Pulsieren des
Universums darin wiederzufinden – die Gefahr, einem „Jargon der
Eigentlichkeit“ zu verfallen.
- Was
traditionell die Natur für das Haiku bedeutete, wird zunehmend durch
städtische Kulturräume ersetzt oder um diese erweitert. U-Bahnen zum
Beispiel sind ein so allgemein assoziierter Raum, den Leser weltweit
leichtens betreten können. Natur und Kultur verschmelzen.
- Nach
dem zweiten Weltkrieg traten viele neue Richtungen und Schulen auf, die
sich vor allem der starken Implikation des Menschlichen und dessen
soziale Interaktionen verschrieben, also nicht nur der Observation der
Natur.
- Was verbindet nun Wahrnehmung und Wissen? Die Wirklichkeit, und die ist laut Thomas Mann: das, was wirkt. Wirklichkeit und Wirkung sind die Schlüsselbegriffe der modernen Haikudichtung.
Ralf Bröker